zum Multimediaguide "Wunder kann man hören"
Die Kunst- und Wunderkammer auf der Burg Trausnitz ist ein Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums.
Die Kunst- und Wunderkammern waren Vorläufer der heutigen Museen, deren Inhalt das vorwissenschaftliche Weltverständnis des 16. Jahrhunderts widerspiegelte: Damals galt ein von Künstlerhand fein beschnitzter Pflaumenkern als ebensolches Wunder wie ein exotisches Tier, das um seinen Körper einen Panzer trug.
Die "Kunst- und Wunderkammer Burg Trausnitz" erinnert an die große Tradition der bayerischen Kunstkammern, die sich die Wittelsbacher Herzöge einrichteten. Schon Herzog Albrecht V. hatte 1565 in München eine der bedeutendsten Kunstkammern Europas gegründet, die mit über 6.000 verschiedenen Gegenständen den Sammlungen der Habsburger in Schloss Ambras oder denen der sächsischen Kurfürsten in Dresden ebenbürtig war.
Albrechts Sohn, Erbprinz Wilhelm, tat es ihm in Landshut gleich: Auch er sammelte in der "Jungen Kunstkammer" auf der Burg Trausnitz Kunstvolles, Exotisches und Merkwürdiges. Als er 1579 als Herzog nach München zog, nahm er die Landshuter Sammlungsbestände mit, um sie mit der Münchner Kunstkammer seines Vaters zu vereinigen.
Das heutige Museum – geordnet nach archivalischen Überlieferungen – zeigt wie damals ein Archiv kunstvoller und wundersamer Dinge, eines vollständigen Schatzes und kostbarer Ausstattung, Aufbauten und Gemälde "… damit man durch dessen häufige Betrachtung … schnell, leicht und sicher eine einzigartige neue Kenntnis der Dinge sowie bewundernswerte Klugheit erlangen kann." (Samuel Quiccheberg, Berater Herzog Albrechts V., 1565).
Nahezu alle fürstlichen Kunst- und Wunderkammern sind nach den vier Kategorien Artificialia, Naturalia, Exotica und Scientifica gegliedert:
Artificialia gelten in dieser Ordnung als künstlich von Menschenhand geschaffene Dinge, die in ihrer höchsten Form ein naturschönes Material durch die kunstvolle Bearbeitung zur Vollendung bringen. Bergkristallpokale, Serpentingeschirre oder Bernsteinkabinette sind Kunststücke dieser Art.
Die Wertschätzung der Naturschönheit ist charakteristisch für die Renaissance, wie Tiermotive der Bronzekunst zeigen. Ausgangspunkt für das Interesse an der künstlerischen Darstellung der Natur war die Kenntnis der Antike: Wieder aufgefundene Skulpturen der Römer und Griechen, Publikationen der antiken Bauwerke und ihrer Ornamente und alte Münzen mit Portraits vermittelten den fürstlichen Sammlern die Kunstwerke der Antike. Die Skulptur mit ihrer allansichtigen Schönheit galt gegenüber den Gemälden als die vornehmere Kunstgattung.
Schon für Augustinus war die Natur "Gottes erstes wahres und immer offenes Buch". Anomalien, Monstrositäten und nicht erklärbare Naturphänomene mussten als verborgene Hinweise Gottes gesehen, geschätzt und auch gefürchtet werden und stellten keineswegs schlichte Kuriositäten im modernen Sinn dar. Noch gab es keine Systematik von Pflanzen und Tieren, wie sie erst die Forscher des 18. Jahrhunderts entwickelten. So wurden die Naturalien in der Renaissance nach ihrer Herkunft aus dem Mineralreich, dem Pflanzenreich und dem Tierreich zu Wasser und zu Lande eingeteilt.
Verborgene Bedeutungen und magische Eigenschaften – Steine, die Gift anzeigen, Wurzeln für Zaubertränke, das Horn des Einhorns – spielten eine große Rolle bei den Naturalien in den Kunst-und Wunderkammern. Fremdartige Tiere und unbekannte Pflanzen aus neu entdeckten Weltgegenden erregten die Neugier der Besucher und waren wegen ihrer Seltenheit gleichzeitig Statussymbole des Sammlers.
Seit der Entdeckung Amerikas und der Landung der Portugiesen in Indien brachten Kapitäne und Kaufleute sensationelle Reichtümer und fremdartige Dinge, Pflanzen und Tiere "von den newen Inseln" nach Europa. Zwar waren materielle Werte wie Gold, Edelsteine und Gewürze das Hauptimportgut, doch gelangten als Beiladungen der Schiffe auch begehrte Raritäten aus den heidnischen Ländern in die heimischen Häfen.
Von Lissabon, Antwerpen, Genua oder Venedig aus wurden diese in die Kunst- und Wunderkammern Europas verteilt. Die Missionare im Gefolge der Eroberer schickten ihren fürstlichen Förderern ebenfalls seltsame Dinge. Süddeutsche Handelshäuser wie die Fugger und die Welser mit Niederlassungen in allen neuen Gebieten vermittelten einen großen Teil der Exotica in die bayerischen Kunstkammern. Geschenke der Habsburger Verwandten, der Medici und Sendungen der Jesuiten-Missionen trugen ebenfalls zu einer erstaunlich vielfältigen Sammlung fremder Wunderdinge bei.
"Alles was messbar ist, soll gemessen werden." Diese von Nicolaus Cusanus bereits Mitte des 15. Jahrhunderts gestellte Forderung wird in der Renaissance eingelöst. Die Entwicklung der Astronomie, der Physik, der Navigation und der Kartographie war verbunden mit einer Blüte der wissenschaftlichen Instrumentenkunde.
Das Bemühen der Menschen, Koordinaten zu bestimmen, sowohl des eigenen Schicksals wie des Standortes zu Land und zur See, führte zu Forschungen, deren Mittel und Ergebnisse in den Kunstkammern gesammelt wurden. Prächtige Uhren und Automaten, komplizierte Astrolabien und Kompasse, Landkarten und Globen waren selbstverständlicher Teil der fürstlichen Kunstkammern. Das Staunen über die Wunder der Welt wurde abgelöst vom Willen zu ihrer rationalen Erfassung und Systematisierung. Die fürstlichen Sammler bewunderten nicht nur die komplizierte Mechanik und Ästhetik der neuen Instrumente, sondern versprachen sich von diesen auch neue Erkenntnismöglichkeiten in einem kausal verknüpften Weltbild.
Mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen Nationalmuseums München
© Text und Bilder: BNM München
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